Ein gemeinsames Positionspapier
von Max Dichant, Vorsitzender des SPD-Kreisverbandes Düren/Jülich und Dietmar Nietan MdB, Beauftragter des SPD-Kreisverbandes für den Strukturwandel
1. Grundsätze
Der SPD-Kreisverband Düren/Jülich begrüßt, dass es der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ gelungen ist, einen Konsens über einen geordneten Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland zu erzielen.
Auf Grundlage der ausgehandelten Ergebnisse müssen nun der Bund und die Länder einen verlässlichen Rahmen dafür schaffen, dass der anstehende Strukturwandel in den vier deutschen Braunkohlerevieren gelingen kann. Dabei müssen vor allem die Belange der Arbeitnehmer*innen in der Kraftwerken und Tagebauen berücksichtigt werden, aber auch die Interessen der vor Ort betroffenen Kommunen. Für das Rheinische Revier heißt das konkret, dass die Städte und Gemeinden deutlich stärker als bisher in die Planung und Umsetzung der regionalen Strukturentwicklung eingebunden werden müssen!
2. Bei uns geht es los!
Die Kommission empfiehlt der Bundesregierung in ihrem Abschlussbericht bereits bis zum Jahr 2022 Braunkohlekraftwerke mit einer Kapazität von insgesamt drei Gigawatt abzuschalten. Mit Blick auf die Rahmenbedingungen der vier deutschen Braunkohlereviere lässt sich schnell erahnen, dass die Abschaltung diese drei Gigawatt zum größten Teil im Rheinischen Revier erfolgen wird. Aller Voraussicht nach wird davon in besonderer Weise der Tagebau Hambach betroffen sein.
Das Ende des Tagebaus Inden war und bleibt auf das Jahr 2030 taxiert. Vor diesem Hintergrund steht fest, dass die Kommunen des Indelandes und alle Anrainerkommunen des Tagebaus Hambach als erstes die Auswirkungen des deutschen Kohleausstieges zu spüren bekommen. Keine Region in Deutschland wird so schnell und so intensiv von den Empfehlungen der Kommission betroffen sein wie der Kreis Düren.
3. Wir brauchen eine Strategie!
In Anbetracht dieser Tatsache wird die Notwendigkeit einer gemeinsamen Strategie deutlich, wie der Strukturwandel vor Ort konkret gestaltet werden soll. Eine lange, oft leider unabgestimmte Liste mit Projektvorschlägen reicht hier nicht aus!
Wir brauchen stattdessen ein integriertes Konzept zur regionalen Strukturentwicklung. Dort müssen endlich konkrete Entwicklungsziele ausformuliert und anschließend priorisiert werden. Daraus wiederum müssen Meilensteine abgeleitet und transparente Kriterien für die Entwicklung und Bewertung von Projektideen entwickelt werden. Abschließend muss auf dieser Grundlage ein zielgerichteter Katalog mit konkreten Maßnahmen entstehen, der als Leitfaden für die Umsetzung des Strukturwandels im Rheinischen Revier bildet.
4. Eine Agentur für eine gemeinsame Regionalentwicklung!
Die angestrebte regionale Strukturentwicklung braucht eine effektive Arbeitsstruktur. Dazu ist eine Institution notwendig, die sowohl über Entscheidungs- als auch über Durchsetzungskompetenzen verfügt. Insbesondere muss dies für die Bereiche der Strategieentwicklung, der Mittelvergabe und der operative Realisierung der Entwicklungsziele innerhalb der Region gelten.
Wir fordern deshalb den Ausbau der Zukunftsagentur Rheinisches Revier zu einer wirklichen „Regionalen Entwicklungs- und Förderungsagentur“! Die vom Strukturwandel betroffenen Kommunen sind durch einen neu einzurichtenden „Kommunalen Beirat“ deutlich intensiver als bisher in die Ausarbeitung eines regionalen Konsenses innerhalb der ZRR einzubeziehen. Weder der Zweckverband Aachen, noch der Köln-Bonn e.V., oder die Metropolregion Rheinland können diese Aufgabe übernehmen. Nur eine Minderheit der in diesen Organisationen vertretenen Kommunen ist unmittelbar vom Strukturwandel betroffen.
Daher braucht es ein Gremium derjenigen Kommunen, die direkt die Auswirkungen des Kohleausstiegs zu spüren bekommen! Wir fordern die betroffenen Städte und Gemeinden auf, sich nicht gegenseitig ausspielen zu lassen, sondern stattdessen die interkommunalen Absprachen zu intensivieren und eine regionale Kooperation stärker in den Fokus des zukünftigen Handelns zu rücken!
5. Absicherung der Arbeitnehmer
Für die SPD haben die Interessen der Arbeitnehmer*innen in den Kraftwerken und Tagebauen höchste Priorität. Sowohl die Bundesregierung als auch das RWE sind den Menschen gegenüber in der Pflicht, zeitnah Maßnahmen zu ergreifen und zu finanzieren, die sicherstellen, dass niemand im Zuge des Kohleaussteigs ins Bergfreie fällt.
Unter dem Schlagwort der Fachkräftesicherung verstehen wir nicht bloß die Zahlung von Ausgleichsmitteln an die aktuelle Mitarbeiterschaft. Es muss auch um die Sicherung der Ausbildungsmöglichkeiten gehen und um die Weitervermittlung von Beschäftigten auf dem regionalen Arbeitsmarkt. Hierzu müssen im Kreis Düren die Kräfte und Kompetenzen von Unternehmen und Gewerkschaften gebündelt werden. Nur gemeinsam kann ein verlässlicher und zukunftsorientierter Rahmen geschaffen werden, der zum einen Ausbildungskapazitäten sichert und die Qualifizierung von Arbeiternehmer*innen ausbaut und zum anderen eine ambitionierte Strategie zur regionalen Fachkräftesicherung entwickelt und umsetzt. In diesem Zusammenhang sind sowohl der Bund als auch das Land in der Pflicht, die hieraus entstehenden Maßnahmen auskömmlich zu finanzieren!
6. Mitverantwortung des RWE sicherstellen
Sollte das RWE Entschädigungszahlungen durch den Staat erhalten, müssen diese an eine Kapitalbindung für die Region gekoppelt werden. So wäre das RWE beispielsweise verpflichtet, einen bestimmten Anteil der Kompensationszahlungen wieder ins das Rheinische Revier zu reinvestieren. Darüber hinaus müssen für die Rekultivierung und die „Langzeit-Lasten“ Regelungen getroffen werden, die für die Region weder finanzielle, noch anderweitige Nachteile zur Folge hat. Die Anwohnerinnen und Anwohner aus dem Umfelde der Tagebaue haben in den zurückliegenden Jahrzehnten genug persönliche Beeinträchtigungen ertragen.
7. Faktor Zeit
Es gibt unmittelbare Zusammenhänge zwischen der „Ausstiegsgeschwindigkeit“ aus den bestehenden Betriebsplänen und der Zeitspanne, die für einen gelingenden Strukturwandel im Rheinischen Revier zur Verfügung steht. Aus diesem Grund muss es ebenso einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Höhe der finanziellen Unterstützung für das Rheinische Revier und den reduzierten Laufzeiten der hiesigen Tagebaue und Kraftwerke geben.
Das bedeutet konkret, dass vor allem dort, wo nun von den bisher gültigen Zeitplänen abgewichen wird, auch zuerst und umfassend der Strukturwandel finanziell unterstützt werden muss. Je weniger Zeit für den Wandel vor Ort zur Verfügung steht, desto höher müssen die Hilfsleitungen für die betroffene Region sein!
8. Schnelle Sichtbarkeit der Maßnahmen
Die Kommission skizziert einen Ausstiegspfad, der insbesondere das Rheinische Revier vor große Herausforderungen stellt. Um die Akzeptanz vor Ort zu erhöhen und die „Endzeitstimmung“ in den Tagebau-Kommunen entgegenzuwirken, muss das vorgesehene Sofortprogramm allem voran die Kommunen auskömmlich finanziell unterstützen, die vom Kohleausstieg zuerst betroffen sind.
Dazu gehört für uns auch, dass zügig realisierbare „Leuchtturm-Projekte“ schnellstmöglich von Bund und Land finanziert werden. Das würde die Chancen des Strukturwandels für die Menschen vor Ort sofort sichtbar werden zu lassen. Es ist eine zentrale Aufgabe des Strukturwandels, den Menschen in den betroffenen Regionen neue Hoffnung auf eine gute und gesicherte Zukunft zu geben!
9. Wir brauchen Sonderregelungen für die betroffenen Kommunen!
Wenn bis zum Jahr 2022 massiv Kraftwerkskapazitäten im Rheinischen Revier abgeschaltet werden, bleiben nicht mal mehr drei Jahre, um vor Ort auf diesen Wandel zu reagieren. Der Faktor Zeit ist deshalb vielleicht noch entscheidender für das Gelingen des Strukturwandels als der Faktor Geld. Bund und Land müssen aus diesem Grund unverzüglich Maßnahmen auf den Weg bringen, die Planungs- und Genehmigungsverfahren für die Kommunen im Rheinischen Revier deutlich und sofort spürbar beschleunigen!
Analog dazu fordern wir auch das Land und die Bezirksregierung auf, für diejenigen Städte und Gemeinden, die besonders und unmittelbar vom Strukturwandel betroffenen sind, Sonderregelungen im Hinblick auf den Flächennutzungsplan zu entwickeln. Diese Kommunen können mit ihrer Flächenentwicklung nicht warten, bis 2025 ein neuer Regionalplan in Kraft tritt!
10. Inkubatoren für neue Wertschöpfungsketten schaffen
Die Kommission unterstreicht in ihrem Kriterienkatalog für einen gelingenden Strukturwandel die Notwendigkeit zur Entwicklung neuer Wertschöpfungsketten. Für den Kreis Düren ist es von entscheidender Bedeutung, einen Handlungsrahmen auszuarbeiten, der die Entwicklung von neuen Wertschöpfungsketten ermöglicht, die auf bereits bestehenden Kompetenzen der Region aufbauen. Hier müssen vor allem die vor Ort vorhandenen industriellen und forschungsbasierten Strukturen berücksichtigt werden.
Darüber hinaus brauchen wir ausgewählte Keimzellen für die Schaffung von neuer Wertschöpfung in einer Zeit nach der Braunkohle. Ausgewählte Leitprojekte wie der Brainergy Park, oder das in der Diskussion stehende Reallabor zur Umwandlung eines Braunkohlekraftwerks in ein Energiespeicherkraftwerk sind für uns ideale Beispiele für solche Keimzellen und ein hoffnungsvoller Beweis für die Innovationskraft unserer Region.
11. Mithaftung Land und Bund
Sowohl der Bund als auch das Land Nordrhein-Westfalen müssen sich in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag dazu verpflichten, den Strukturwandel im Rheinischen Revier langfristig zu unterstützen. Die Verpflichtung zur Förderung der unterschiedlichen Strukturwandel-Maßnahmen gibt den vom Kohleausstieg betroffenen Kommunen die dringend benötigte Planungssicherheit.
Die durch diesen Vertrag entstehende Mithaftung von Bund und Land stärkt darüber hinaus auch den gesamtgesellschaftlichen Konsens und unterstreicht die Tatsache, dass die Energiewende nunmehr als ein wirtschaftliches, ökologisches und soziales Projekt definiert wird.
12. Ausblick
Nordrhein-Westfalen ist ein Industrieland. Dies verdanken wir gerade auch den Beschäftigten in den Kohlerevieren. Wir erwarten daher von der Bundes- und Landesregierung, dass diese die Empfehlungen der Kommission in einer Weise umsetzt, die den Industriestandort NRW nicht gefährdet. In diesem Zusammenhang sind die von der Kommission benannten Kriterien für einen gelingenden Strukturwandel ausdrücklich zu begrüßen. Sie müssen der Maßstab für alle politischen Entscheidungen werden.
Strukturwandel heißt für uns nicht, dass industrielle Strukturen abgebaut, sondern dass diese weiterentwickelt werden, um gute und tariflich abgesicherte Arbeitsplätze zu erhalten. Bund und Land müssen hierfür langfristige und auskömmliche Investitionen bereitstellen, die ein regionales Wirtschaftswachstum ermöglichen.
Vor Ort müssen sich alle politischen Verantwortlichen spätestens jetzt über ihre Verantwortung bewusst sein. Es gibt keinen schwarzen, grünen, gelben oder roten Strukturwandel. Es gibt nur einen gelingenden Strukturwandel, oder einen Strukturbruch, mit dem Verlust von Arbeitsplätzen, Wertschöpfung und Wohlstand.
In diesem Sinne erwarten wir Zusammenarbeit, Solidarität und Teamwork, statt Machtspielchen und Kirchturmdenken.
Wenn wir jetzt alle an einem Strang ziehen, kann der Strukturwandel auch für uns im Kreis Düren zur großen Chance werden.
Packen wir es an! Gemeinsam!